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Interview mit Meike Neitz – Neo-Generalisten: „Das habe ich noch nie versucht, also bin ich mir ziemlich sicher, dass ich das kann!“

Wir haben Meike Neitz getroffen, die sich selbst als "Neo-Generalisten" beschreiben würde.

Interview mit Meike Neitz – Neo-Generalisten: „Das habe ich noch nie versucht, also bin ich mir ziemlich sicher, dass ich das kann!“

Streng genommen sind Neo-Generalisten Personen, die nicht nur eine berufliche Karriere verfolgen, sondern gerne mehrere Wege einschlagen, sich nicht festlegen möchten und vor allem sich immer wieder flexibel auf neue Dinge einstellen wollen und können. Meike Neitz hat uns mehr zum Begriff erzählt und uns ein paar Fragen beantwortet, warum die Person des Neo-Generalisten für Unternehmen so wichtig ist.

 

Meike Neitz

Hallo Meike, schön dass Du die Zeit gefunden hast, ein paar Fragen von uns zu beantworten. Stell Dich doch mal kurz vor.

Gern! Mein Name ist Meike Neitz, ich bin in Bremen geboren und aufgewachsen. Nach meinem BA Studium der Internationalen Beziehungen in Dresden und Boston bin ich nach London gegangen, habe dort meinen Master in Politischer Kommunikation gemacht. Mein erster Job ließ mich dann im Ausland bleiben: Ich wurde zunächst Projektmanager, dann Country Director für ein britisches Recherche – und Consultingunternehmen, das sich auf Emerging Markets spezialisiert hatte. Für diese lebte ich in Indonesien, Algerien, Tunesien (wenn auch nur kurz, musste leider wegen der Revolution evakuiert werden), Thailand und der Türkei. 2013 kehrte ich nach Deutschland zurück und betreute für Vural Öger alle Themen rund um Die Höhle der Löwen und kümmerte mich parallel dazu um die Kommunikation und Digitalisierung seiner Unternehmensgruppe. Leider zu spät! Nach der Insolvenz von Öger und seinem Austritt aus der Sendung habe ich mich selbstständig gemacht. In den letzten Jahren hat sich jedoch auch der Inhalt meiner Selbstständigkeit gewandelt. Heute mache ich zu ca 50% Eventmoderation und zu 50% Kommunikationsberatung sowie Workshops & Pitchtraining für Start-ups.

 

In deinen Artikeln redest Du viel von „Neo-Generalisten“. Wie würdest Du diesen Begriff beschreiben?

Der Begriff Neo-Generalisten wurde von Kenneth Mikkelsen und Richard Martin in ihrem gleichnamigen Buch geprägt. Sie definieren darin Menschen, die nicht nur eine berufliche Karriere verfolgen und sich hier ggf hocharbeiten wie zum Beispiel bei Ärzten (Assistenzärztin -> Fachärztin -> Chefärztin -> Oberärztin). Neo-Generalisten dagegen lassen sich nicht in nur einem Fachbereich nieder, sondern wechseln die Branchen, Positionen und somit Arbeitsinhalte alle paar Jahre – dies teils drastisch wie bei mir beispielsweise vom Emerging Markets Research hin zu Venture Capital, Tourismus und Start-ups. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Neo-Generalisten oberflächlich oder sprunghaft sind. Im Gegenteil: Sie tauchen tief in ihr jeweils neues Themengebiet ein, machen sich sogar doppelt Arbeit, da sie ja im Gegenzug zu anderen, die dort schon jahrelang arbeiten, sich zusätzliches Wissen aneignen müssen.
Neo-Generalisten lieben diese neuen Herausforderungen und genießen die Flexibilität, diese auch annehmen zu können. Sie schätzen Abwechslungsreichtum und streben danach, immer wieder neue Dinge zu lernen und anzupacken. Während viele Arbeitnehmer ihre Routinen mögen (was auch absolut in Ordnung ist!) und es mitunter genießen, relativ komfortabel die tägliche Arbeit verrichten zu können, da sie diese schon seit Jahren tun, mögen Neo-Generalisten kein „business as usual“. Wichtig ist noch hervorzuheben, dass Neo-Generalisten nichts unüberlegt tun – das heißt auch wenn der Lebenslauf sehr „bunt“ ist, haben sie sich jeden Schritt trotzdem sehr gut überlegt und sind nicht lediglich jeder Möglichkeit, die sich ihnen bot, beliebig gefolgt.

 

Warum sind Neo-Generalisten deiner Meinung nach für Firmen so wichtig?

Weil sie oftmals dringend benötigten frischen Wind in Firmen bringen. Sie kommen ja mit einem Set an Erfahrungen und Lernmomenten, die branchenfremd sind, das heißt bringen mitunter ganz neue Perspektiven, Denkansätze und Ideen in ihre neue Arbeit mit ein, denken interdisziplinär, schauen über den Tellerrand. Viele Mitarbeiter und Führungskräfte, die schon jahrelang nur in einem Thema arbeiten, werden mit der Zeit betriebsblind – was völlig normal ist. Dies erklärt auch, warum so viele Unternehmensberater eingesetzt werden, die ja letztlich auch nicht von jeder Branche eine Ahnung haben, in der sie ein neues Projekt anfangen, sondern einfach Sachverhalte und Strukturen von außen besser analysieren und optimieren können. So ist es mit Neo-Generalisten auch: Jemand, der ganz anders denkt und aus einer ganz anderen „Bubble“ kommt, kann mitunter viel voranbringen. Zudem sind Neo-Generalisten wichtig, weil sie als „Springer“ eingesetzt werden können. Das heißt, ein Unternehmen muss beispielsweise bei einer neu geschaffenen Stelle keine neue, kostspielige Stellenausschreibung, kein Bewerbungsprozess und Onboarding einleiten, sondern greift auf fähige Neo-Generalisten aus den eigenen Reihen zurück, denen es schon wieder in den Fingern juckt, eine neue Herausforderung anzupacken.

 

Worauf sollte man im Umgang mit Neo-Generalisten achten, wenn man als Personaler z.B. eine Bewerbung eines Neo-Generalisten vorliegen hat oder in einem Vorstellungsgespräch sitzt?

Ich denke, in jedem Gespräch ist es wichtig, zwischen den Zeilen lesen zu können, aber bei Neo-Generalisten ist dies besonders essenziell. Denn natürlich sehen hier gerade auf den ersten Blick viele Lebensläufe komplett „random“ aus. Und man muss dazu sagen: Nicht hinter jedem Lebenslauf, der jeden roten Faden vermissen lässt, verbirgt sich ein Neo-Generalist! Das gilt es herauszukristallisieren. Auch gilt es, die wichtigsten Stärken der Person zu erkennen und herauszufinden, ob er oder sie in das Unternehmen passt – das ist bei den Neogeneralisten schwieriger und erfordert ein besseres Feingefühl als bei manchen Experten, bei denen zu 99% exakt auf dem Papier steht und leicht ersichtlich ist, was sie eben ausmacht.

 

Klar, fließende Strukturen, Flexibilität, Weitsicht – alles Begriffe, die für eine moderne Arbeitswelt selbstverständlich sein sollten. Ist es wirklich so einfach, dies in die Tat umzusetzen? Was kann man tun, damit diese Begriffe auf die Arbeitskultur zutreffen? Wo hapert es noch?

Ich denke nicht, dass das einfach ist und denke, dass es Jahre dauern kann und wahrscheinlich noch wird, um die Arbeitswelt in Deutschland wirklich nachhaltig zu modernisieren. Bezüglich der Arbeits- und Unternehmenskultur glaube ich, dass es nach wie vor ein Führungsproblem ist: Viele blumige Dinge werden in Unternehmensbeschreibungen hinein geschrieben, aber nicht wirklich vom Vorstand gelebt und aktiv voran getrieben – denn das bedeutet viel Mühe und Energie. Häufig geht es in Personalabteilungen noch recht traditionell zu. Von vielen Start-ups die in dem Bereich arbeiten höre ich zudem, dass die Digitalisierung in der HR oft extrem „schwach ausgeprägt“ ist, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Hier würde ich mir mehr Mut, mehr frischen Wind und mehr Digitalkompetenz wünschen!

 

Warum sollte man viel öfter dem Motto „Das habe ich noch nie versucht, also bin ich mir ziemlich sicher, dass ich das kann“ folgen?

Weil es einen persönlich enorm weiterbringt und unglaublich bereichernd sein kann, mit dieser Haltung in neue Themen- und Arbeitsgebiete vorzudringen, mit denen man sich vorher nie beschäftigt hat. In kürzester Zeit hat man so die Chance, extrem viel Neues dazu zu lernen. Leider wird das Spezialistentum in Deutschland sehr verehrt – was eigentlich schade ist, denn ich denke in vielen Menschen stecken viel mehr versteckte Talente, die sie in ihrem Berufsleben gar nicht ausfüllen können, weil sie nicht die Möglichkeit haben, sich auszuprobieren. Ich hoffe daher, dass dies wie früher in der Renaissance wieder mehr akzeptiert wird. Nehmen wir das Beispiel Leonardo DaVinci. Bei Wikipedia heißt es über ihn „italienischer Maler, Bildhauer, Architekt, Anatom, Mechaniker, Ingenieur und Naturphilosoph.“ Da würden viele Personaler den Kopf schütteln und denken: „Den können wir nicht gebrauchen, der kann ja alles und nichts!“. Aber vielleicht sollte man in genau so einem Fall über den Tellerrand hinausblicken.

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